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Siebte Orgelnacht in der Stephanuskirche: Auf der Suche nach dem persönlichen Superhelden

(RED) Sie gehört kulturell bereits zum festen Inventar in Weilimdorf: Die Konzertreihe „Orgelnacht“ in der Evangelischen Stephanusgemeinde im Giebel. Am Freitagabend, 18. September 2020, wurde die Weigle-Orgel der Kirche durch den Öhringer Organisten Patrick Gläser „gerockt“.

Lange Zeit war angesichts der Corona-Pandemie im Vorfeld dieses Abends nicht klar, ob die „Orgelnacht“, die seit 2014 Jahr für Jahr im September stattfindet, heuer durchgeführt werden kann. Erst im Juli gab der Kirchengemeinderat Dank eines ausgefeilten Hygiene- und Abstandskonzeptes grünes Licht für den Abend. Und so erlebten die 110 Gäste, die sich vor dem Konzert anmelden mussten und durch die Organisatoren und ihre Helfer im Kirchenraum platziert wurden, die erste kulturelle Großveranstaltung im Stadtbezirk seit Pandemie-Beginn, die Pfarrerin Erika Schlatter Ernst mit einer kurzen Andacht mit Gedanken zum Kunstprojekt des 639 Jahre währenden Orgelstücks „ASLSP“ von John Cages in Halberstadt begann – immerhin mit der Aussicht, dass das Konzert in der Stephanuskirche an diesem Abend definitiv nicht ganz so lange dauern würde.

Der Organist Patrick Gläser begann das Konzert gewitzt mit einer kleinen Erläuterung: „Wie spielt man solche Stücke auf der Orgel? Man geht in den Laden, kauft sich die Noten und spielt das dann.“ So gehe das bei diesen Stücken leider nicht. Daher beschreitet Gläser einen anderen Weg: „Ich habe die Gabe – das Geschenk – relativ gut vom Hören auf die Tasten übertragen zu können.“ So hört er sich die Musikstücke mehrfach an und imitiert die verinnerlichten Klänge auf dem Instrument. Die unterschiedlichen Orgeln, die er auf seinen Konzerten bespielt, geben so jedem Stück eine besondere Einzigartigkeit durch unterschiedliche Register und Raumakustik. So ist es zwar im Rahmen seiner Konzerttouren „Orgel rockt“ meist dieselbe Abfolge an Werken, doch nie hört es sich gleich an – zumal er alles ohne Noten – aus „Kopf und Bauch” – spielt.

Mit seiner „Orgel rockt – Tour 6“ begibt sich Gläser, der wie alle freischaffenden Künstler in Coronazeiten mit ausgefallenen Konzerten leben musste, auf die Suche nach dem persönlichen Superhelden, um sich mit den Herausforderungen unserer Zeit für unsere Gesellschaft auseinanderzusetzen. Ob er sich in der Titelmusik von „Indiana Jones“, in den Klängen von U2 mit „I Still Haven‘t Found What I‘m Looking For“ oder Queens „We Will Rock You“ finden lässt? Oder gar in der Queenschen Selbsterkenntnis „We Are The Champions“? Gläser spielt sich gedankenverloren durch die Filmmusik der Transformers, das Publikum lässt sich trotzig von Pink Floyd mit „We Don´t Need No Education“ zum in Gedanken Mitsingen hinreißen: Auch wenn nur die Orgel in ihren wuchtigen Klängen zu hören ist, weiß man, dass so gut wie jeder im Publikum innerlich mitsingt.

Orgel und Gesang? Dass das geht, beweist Gläser auch. „Man könnte meinen, das Lied sei für die aktuelle Klimabewegung Fridays for Future geschrieben“, so Gläser einleitend zu seinem Stück „Noah – geh deinen Weg“. Doch Gläsers Eigenkomposition geht auf das Jahr 1999 zurück. Ein wenig rockiges – aber nachdenkliches Klang-Erlebnis für die Zuhörer, das Patrick Gläser tastenfertig zum konträren Song von Abba mit „Money, Money, Money“ übergehen lässt.

Im Programm geht es weiter mit dem populären „Hallelujah“ von Leonard Cohen, dem Popsong „Havanna“ von Camila Cabello, das „Alte Fieber“ der Toten Hosen, „One Day“ aus „Fluch der Karibik“, dem berührenden Titel „Numb“ („betäubt“) von Linkin Park mit seinem 2017 verstorbenen Sänger Chester Bennington – mündend in dem grandiosen Song „The Show Must Go On!“ von Queen. In jedem Falle sind es diese Helden der Rockmusik, wie Freddy Mercury, die einem Halt – musikalisch wie mit beeindruckenden Texten – den Weg weisen können. Gläser gibt dem Publikum nach diesem Song die Erkenntnis mit auf den Weg, dass Superhelden nur in der Musik und auf der Leinwand existieren: „Wir sind alle selbst gefordert!“, so seine Worte. Mit „Spirits“ und „Time To Say Goodbye“ endete nach gut einer Stunde das Konzert – der Organist durfte allerdings erst nach den Zugaben „Nothing Else Matters“ (Metallica) und der virtuosen wie schwer spielbaren „Bohemian Rhapsody“ (Queen) mit ihren stilistisch sehr unterschiedlichen Teilen das Licht am Orgelspieltisch ausschalten.

Die Zuhörer waren im Anschluss an das Konzert voll des Lobes – nicht nur über die Spiel- und klangliche Wandlungskunst von Patrick Gläser, sondern auch über die Idee des Organisationsteams der Stephanuskirche, den Organisten mit einer Kamera am Spieltisch zu begleiten und das Bild per Beamer auf eine große Leinwand zu transferieren. „Endlich sieht man mal, wie hart die Arbeit eines Organisten beim Spielen ist. Sonst hört man sie nur spielen. Dies war ein Konzert zum Zuschauen!“, so eine begeisterte Konzertbesucherin. 2021 wird es die Orgelnacht in Stephanus übrigens am 24. September geben – die Vorbereitungen laufen bereits.

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